Alles ist relativ – warum ich nach Corona viel effizienter bin als vorher
Meine To Do Liste für den 15. Juni ist lang. So lang, dass ich befürchte, sie nicht annähernd komplett abarbeiten zu können. Schon um 07:45 Uhr stehen wir vor dem Kindergarten – ein Novum für uns! Interessant, wie viele unbekannte Gesichter man trifft, wenn man zu einer gänzlich anderen Uhrzeit im Kindergarten ankommt…

Also schnell die Maske über Mund und Nase, dann anstellen. Auf dem Boden gibt es Linien, die Eltern an die richtigen Abstände erinnern. Die Leitung öffnet die Türe, um die Kinder entgegenzunehmen – das Betretungsverbot gilt nach wie vor. Weil sie sich so freuen, rennen die Kinder in den Kindergarten, ohne sich zu verabschieden. Sie lassen mich im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen… Ein wenig blutet mir deshalb das Herz, doch lange kann ich ihnen nicht hinterhersehen, denn hinter dem Kleinsten und mir stehen schon weitere mir unbekannte Frühaufsteherinnen, die ihr Kind auch endlich wieder in die Betreuung geben können.
Für uns geht es ein Häuschen weiter – zur Kita. Dorthin geht der Kleinste seit September. Seit Tagen ist er aufgeregt. Es ist erstaunlich, wie groß das Erinnerungsvermögen in diesem Alter schon sein kann… Auf jeden Fall freue ich mich, dass er sich freut. Wir öffnen die Türe. Meine nassen Sneakers nehme ich in die Hand, denn in der Kita gibt es kein Betretungsverbot, dafür eine Einbahnstraße, so dass man die Einrichtung am gegenüberliegenden Ende über den Garteneingang verlassen muss.
Plötzlich schreit das Kind, „nein!“. Zur Vorfreude gesellt sich nun offensichtlich Nervosität. Naja, wer könnte es ihm verdenken nach der langen Zeit? Am 13. März war er das letzte Mal dort, das sind jetzt mehr als drei Monate, ein Neuntel seines kleinen Lebens…
Als er seine Erzieherin sieht, ist er aber sofort am Start. „Tschüss, Mama“, schon lässt mich das nächste Kind stehen – dieses Mal wenigstens nicht im Regen.
Raus ins Auto. Durch den strömenden Regen. Beim Schirm war ich leider nicht so vorausschauend wie bei den Schuhen, ihn habe ich am Haupteingang stehen gelassen. Macht auch nichts, denn ich bin ja irre früh dran! 07:53 Uhr ist es jetzt. Um die Zeit fangen wir normalerweise an, Jacken zusammenzusuchen und die Rucksäcke zu packen… „Wow“, denke ich mir, „wie lange wir diese Uhrzeit wohl beibehalten können?“. Vermutlich sind wir morgen schon wieder später dran, aber es schadet ja nicht, auch mal ein wenig unrealistisch zu denken, oder?
Zuhause angekommen knöpfe ich mir meine Liste vor… Aufgaben über Aufgaben: Zwei Texte à 600 Wörter recherchieren und schreiben, mal wieder ordentlich saugen, wischen, Wäsche falten und aufräumen, Wäsche aufhängen, Wäsche waschen, den Geschirrspüler ausräumen, neu einräumen (ja, hier stellt sich das Geschirr immer schon an, allerdings ohne Abstand…). Im Grunde genommen sehr viele kleine Aufgaben, die für mich aber wie ein gewaltiger Berg aussehen! Denke ich darüber nach, wie lange ich dafür wohl brauchen werde, komme ich zu dem Schluss, dass das heute wohl nichts mehr wird. Vielleicht bin ich ja nächsten Montag damit durch? Der Blick auf die Liste löst solch eine Überforderung aus, dass ich mich dazu entschließe, erst einmal in Ruhe Kaffee zu trinken. Ist ja auch wichtig. 08:11 Uhr ist es jetzt. 08:27 Uhr ist es als ich mit meinem Kaffee fertig bin.

Dann geht es jetzt wohl los. Erstmal die Arbeit, es soll ja Geld ins Haus kommen. Es geht gut. Bald bin ich fertig und möchte Wohnzimmer und Küche saugen. Weil so viel Krempel herumliegt, räume ich aber erstmal auf. Ich bringe ein paar Dinge in das Spielzimmer der Kinder und bekomme direkt die nächste Panikattacke… Hat hier während Corona eigentlich niemand aufgeräumt? Also ich zumindest nicht… Und sonst wohl auch niemand. Also, los geht´s: Lego hierhin, Hubelino dorthin, Kuscheltiere ins Bett, Kostüme in die Kiste, Puppenutensilien in den Korb, Bücher ins Regal. Der Boden ist wieder frei… aber irgendwie auch nicht, also hole ich flott den Staubsauer und er rasselt ordentlich. Fertig.
Aber ich wollte ja eigentlich in Küche und Wohnzimmer weitermachen. Gesagt, getan. Schnell noch durchgewischt, schon sieht die Bude wieder anders aus. In der Küche kümmere ich mich um das Geschirr und reinige gleich noch Flächen und Fronten – beim Anblick einer sauberen Küche fühlt man sich doch gleich wohler! Weiter geht es mit der Wäsche, auch dabei bin ich flott. Auf der frisch gewaschenen Kleidung bemerke ich allerdings schmierige Flecken. Die Waschmaschine ist wohl verstopft, super. Ich reinige sie und lasse die Wäsche von eben gleich noch ein paar Runden drehen.
Im Vorbeilaufen sehe ich meine Liste. Eigentlich kann ich alles abhaken. Wie kann das sein? Es ist gerade mal 10:30 Uhr!?!
Meine Steuer könnte ich noch erledigen. Fertig ist alles, absenden muss ich sie noch. Die Belege muss ich auch noch in die Versandtasche stecken. Wieder fertig. Also noch den unteren Hausgang etwas sauber machen, dort sieht es abenteuerlich aus: Der halbe Fuhrpark der Kinder steht dort herum, Schuhe fallen links und rechts vom Schuhregal, die Katze steht vor der Gartentüre und hat Hunger. Los geht´s. Hier und da ein paar Handgriffe, noch kurz saugen, „ach, dann kann ich gleich noch wischen“. Fertig. Es ist 11:30 Uhr.
Ungläubig starre ich auf meine To Do Liste, und weil ich so stolz auf mich bin, füge ich die zusätzlich abgearbeiteten Punkte gleich noch hinzu. Wow. Beeindruckend. Gemütlich trinke ich nochmal eine Tasse Kaffee – das tut gut. Dann sammle ich den Kleinsten wieder von der Kita ein – zu Fuß, denn ich bin ja so früh dran! Der Spatz hat gute Laune und wird in der Trage nach Hause geschleppt, wo er gleich einschläft.
Etwas später müssen wir nochmal los, um die beiden größeren Geschwister im Kindergarten abzuholen. Madame hat beste Laune, Monsieur ist etwas grantig – die Kinder wurden in Kleingruppen aufgeteilt, keiner seiner Freunde ist bei ihm… Bleibt nur zu hoffen, dass beim nächsten Schwung der Betreuungseinrichtung noch ein paar Kinder nachkommen, die er gern hat. Insgeheim denke ich aber, er ist nur müde. Nach viel Gezeter kippt er auf der Couch um und schläft. Seine Schwester tut es ihm gleich. Der Kleinste und ich essen zusammen mit der Großen, die schon wieder von der Schule zu Hause ist.

Ich bin heute so effizient wie schon lange nicht mehr. In den letzten Wochen waren alle Kinder daheim und auch, wenn man trotzdem sein Bestes gibt, ist es in so einer Situation schwer, richtig produktiv zu sein. Man hat ja auch andere Prioritäten. Und vor allem sind die Schöpfer des täglichen Chaos ja ständig daheim und sorgen für Nachschub.
Obwohl ich heute so fleißig bin, habe ich Zeit, meine Kinder zu genießen. Das ist einfach nur schön 😊. Und das ist doch genau der Witz daran: Ich liebe meine Kinder und habe sie gerne um mich, doch auch ihnen tut die Abwechslung gut. Heute Abend gehen wir alle mit einem Lächeln im Gesicht ins Bett. Es wird zwar noch eine Weile dauern, bis man wieder von Normalität sprechen kann, doch auch kleine Schritte in diese Richtung tun gut…